Das Auto macht die Stadt kaputt

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Wenn es nach den Herstellern von Autos geht, dann liegt die Lösung für einige unserer derzeitigen Probleme in der Umstellung von (auf Erdöl basierenden) Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren. Kein CO2-Ausstoss mehr, kein Lärm mehr, meistens auch kleinere Autos, und kürzere Wege, die von einigen Herstellern initiierten Carsharing-Angebote tun ihr Übriges für (das Leben in) eine(r) bessere(n) Welt.
Klar, ist alles Quatsch; aber gutes Marketing. Wo kommt der Strom für die Elektromotoren her? Die Produktion von Batterien für die Elektroautos ist äusserst Umwelt-schädigend – angefangen beim Abbau der Metalle bis hin zur Entsorgung. Und dass es Autos überall eingebaute Vorfahrt haben und das Leben unserer Kinder (und unseres auch) gefährden, dass sehen wir als normal an… Dass wir in den Städten nicht mehr flanieren können, sondern letztens Endes uns Autos anschauen, ist auch weitest gehend akzeptiert.

Hier nun ein interessanter Artikel im Spiegel wie das Auto die Stadt kaputt macht. Hier online, hier als PDF.

Das perfekte Auto für die Stadt gibt es nicht. Das sagt der Hamburger Verkehrsplaner Konrad Rothfuchs – und widerspricht damit dem Hersteller BMW, der sein Elektroauto i3 als urbane Revolution preist. Wie sieht dann Mobilität von morgen aus?

SPIEGEL ONLINE: Leichtes Carbon statt Blech, Elektromotor statt ratterndem Diesel, Eukalyptus statt Tropenholz als Interieur – BMW gibt sich mit dem i3 alle Mühe, unsere Umwelt zu entlasten. Kann die Stadt nun aufatmen?

Rothfuchs: Tatsächlich können wir mit diesem Fahrzeug einige Probleme in der Stadt in den Griff bekommen. Dazu zählt beispielsweise Lärm – von den Rollgeräuschen der Reifen abgesehen. Diese übertönen mittlerweile oftmals den Motor, beim Elektroauto ohnehin. Wenn alle mit Strom fahren, wird es an Ampeln eine Entspannung geben. Damit mildert ein Auto wie der i3 die Emissionen und Immissionen – also alles, was lärmt und stinkt. Aber der Schlüssel zu einer besseren Stadt liegt woanders.
SPIEGEL ONLINE: Was stört Sie denn genau am Auto? Mittlerweile sind die Abgase neuer Fahrzeuge sauberer als Landluft. Beim E-Auto ist die Schadstoffproblematik ganz vom Tisch.

Rothfuchs: Es gibt zwei Probleme. Zum einen den fließenden Verkehr auf den Hauptverkehrsadern, der immer dichter wird. Aber viel schlimmer ist die Situation in den Wohnquartieren, da stehen viele Autos manchmal 23 Stunden am Tag herum. Ich fände es gut, wenn man in dichtbesiedelten Stadtteilen wie Eimsbüttel in Hamburg, dem Westend in Frankfurt oder Schwabing in München alle 100 Meter mindestens 30 Meter freiräumt. Platz, den wir den Menschen zurückgeben. Bewohner und Besucher des Stadtteils müssen spüren, welche Chancen wir uns mit dem Zugeparke verspielen.

SPIEGEL ONLINE : Das dürfte einen Aufschrei in der Bevölkerung geben.

Rothfuchs: Wahrscheinlich, aber schauen Sie mal mit welcher Selbstverständlichkeit die Autos die Straßen dominieren. Es ist ja nicht nur Raum weg. Autos stellen ein großes Unsicherheitsproblem dar – besonders für Kinder. Unsere Generation hat auf der Straße noch Fußball gespielt. Das geht heute gar nicht mehr. Da stehen jetzt 70.000-Euro-Autos aneinandergereiht. Wenn da ein Lackkratzer dran kommt, dann ist aber Holland in Not. Das sind Einschränkungen, die sukzessive gekommen sind und von allen gelebt und von keinem hinterfragt werden. Und darum ist dieses vermeintliche Zukunftsauto keine Lösung, wenn wir es 1:1 gegen unsere konventionellen Modelle austauschen.

SPIEGEL ONLINE : Wie schafft der Mensch es denn, das Auto aus der Stadt zu verdrängen?

Rothfuchs: Wir als Stadt- und Verkehrsplaner sind davon überzeugt, dass es einen riesigen Markt für Carsharing geben wird. Neue Wohnblöcke müssen gleich mit einem Mobilitätspool geplant werden, der private Autos überflüssig macht. So ein Pool ist viel besser, denn in der Garage steht dann nicht nur mein Wagen, sondern ein Cabrio, ein 7-Sitzer und noch ein Lastenfahrrad. Alle Fahrzeuge kann ich buchen, sie werden von einem Service gewartet, ich brauche mich nicht mit Werkstattterminen plagen. Die einzige Frage, die sich mir dann noch stellt, ist: Brauche ich heute überhaupt ein Auto und wenn ja, dann welches?

SPIEGEL ONLINE : Autohersteller wie BMW und Daimler investieren ebenfalls ins Carsharing. Selbst der fast 40.000 Euro teure i3 wird in das BMW-System DriveNow integriert. Ist ihnen das nicht konsequent genug?

Rothfuchs: Das geht in die richtige Richtung. Aber kein Autohersteller hat natürlich ein Interesse daran, sein derzeitig noch funktionierendes Geschäftsmodell zu zerstören. Was die Zukunft angeht, spüre ich bei der Autoindustrie gerade eine gewisse Orientierungslosigkeit. Sobald wir als Stadtplaner zum Thema Mobilität tagen, kommen ganze Mannschaften aus den Autostädten Deutschlands eingeflogen. Den Forschungsabteilungen schwant offenbar schon länger, dass der Autoabsatz in Europa weiter zurückgeht. Nun hoffen sie, mit Carsharing vielleicht ein neues Segment der „Logistik“ zu begründen.

SPIEGEL ONLINE : Der Umdenkprozess ist im vollen Gange. Junge Menschen kaufen lieber das aktuelle iPhone statt einen gebrauchten Golf. Gab es in der Historie vergleichbare Einschnitte?

Rothfuchs: Ja, klar – nämlich beim Durchbruch der Massenmobilität in den fünfziger und sechziger Jahren. Niemand ahnte auch nur ansatzweise, dass wir Deutschen bereit sind, Jahresgehälter für ein Statussymbol auf den Tisch zu legen. Später hat dann der Autoverkehr mit mehrspurigen Straßen uns den gesamten persönlichen Freiraum weggenommen. Heute läuft es anders herum: Die Architektur wendet sich wieder mehr vom Auto ab. Eingänge repräsentativer Bauten richten sich zur Neben- statt zur Hauptstraße aus.

SPIEGEL ONLINE : BMW gibt zu, dass sie mit dem i3 Kunden gewinnen wollen, die Bahn und Bus nutzen. Das wäre aus Ihrer Sicht doch fatal, wenn wir gerade dabei sind, in der Stadt das Blech zur Seite zu räumen.

Rothfuchs: Ach, da bin ich ganz entspannt. Die derzeit noch relativ hohe Durchschnittsgeschwindigkeit in deutschen Städten sinkt weiter kontinuierlich. Damit wird ein Umstieg oder ein Rückschritt aufs Auto eher unwahrscheinlich. Weniger der ökologische Gedanke veranlasst uns, Bus und Bahn zu nehmen. Vielmehr zählt der Faktor Zeit. Mit der Bahn bin ich meist schneller im Zentrum, kann mit Freunden spontan ein, zwei Bier trinken. Dem öffentlichen Nahverkehr gehört die Zukunft. Vorausgesetzt, wir machen nicht den Fehler, dass wir die Qualität an die Wand fahren. Damit meine ich überfüllte Züge, U-Bahnen, die liegen bleiben oder defekte Klimaanlagen im ICE bei Temperaturen von über 30 Grad.

SPIEGEL ONLINE : Wird sich das Stadtbild in Zukunft noch stärker verändern?

Rothfuchs: Das glaube ich schon. Derzeit merken wir das nur bei den Leuchtturmprojekten. In Hamburg sind das Bereiche wie die Prachteinkaufsmeilen Jungfernstieg oder Neuer Wall – die sogenannten Tempelbezirke. Die sind ein Zeichen, dass uns der öffentliche Raum wieder mehr Wert ist und wir stolz darauf sind. Der öffentliche Raum bestimmt das Image einer Stadt. Auch, wenn wir Hamburger Schietwetter haben, sitzen wir öfter als früher draußen. Wir treten an, uns Räume zurückzuerobern.

SPIEGEL ONLINE : Was bedeutet das für die Parkplätze?

Rothfuchs: Erst müssen wir noch einmal festhalten: Der Raum ist endlich. Warum denken wir nicht darüber nach wie in einigen Kantonen der Schweiz, Stellplätze auf öffentlichen Grund kostenpflichtig zu machen? Jeder, der keine Garage oder privaten Stellplatz nachweisen kann, sollte zahlen, wenn er die Straße zuparkt. In den meisten neuen Wohnquartieren in Deutschland gibt es üppige Garagen. Aber ausgerechnet die großen Geländewagen stehen auf der Straße. Da frage ich mich: Haben die keine 70 bis 100 Euro im Monat übrig, um ihr Auto beiseite zu schaffen?
SPIEGEL ONLINE : Herr Rothfuchs, womit fahren Sie tagtäglich?

Rothfuchs: Ich gestehe: Ich fahre auch Auto. Aber auch ganz viel mit Bus und Bahn – ehrlich!

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