Mein 2.000-Watt-Leben

über den Versuch eines Menschen, so zu leben wie wir es müssten und vielleicht auch müssen, wenn wir so leben wollen als wenn alle Menschen dieselbe Energiemenge zur Verfügung hätten (und ohne dass wir noch mehr Energie verbrauchen würden). Summa summarum: Es funktioniert nicht. Vielleicht mit ganz, ganz viel Veränderung – aber eigentlich eine Utopie.

Hier der Text oder Energie-2000-Watt-Gesellschaft.

„Mein 2.000-Watt-Leben
Die gleiche Menge Energie für jeden? Gute Idee. Doch in meinem Alltag verbrauche ich viel zu viel, auch wenn ich mich anstrenge. Und was jetzt?

Die 2.000-Watt-Gesellschaft ist die Vision von global gerechter Energieverteilung. Jedem Menschen auf der Erde soll die gleiche Menge Energie zur Verfügung stehen. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben ermittelt, dass jedem Erdenbürger rechnerisch 17.500 Kilowattstunden pro Jahr zustehen, was einer kontinuierlichen Leistungsaufnahme von 2.000 Watt entspräche. Daher die Zahl, sie ist einprägsam und steht für eine gerechte Ressourcenverteilung. Damit sei es jedem möglich, in Wohlstand zu leben, ohne der Umwelt zu schaden.

2.000 Watt, das klingt verdammt gut. Aber was bedeutet das? Ich ahne schon, dass ich als Einwohner eines westeuropäischen Industrielandes diese Messlatte wohl reißen werde. Trotzdem interessiert mich, wie mein persönliches 2.000-Watt-Leben aussehen würde. Ob es überhaupt funktionieren kann, jeden Tag aufs Neue. Also mache ich mich auf die Suche nach den Energiefressern in meinem Leben. Am Ende finde ich sie. Und lerne, dass Beleuchtung, die Stand-by-Zeiten von Fernseher und Kaffeemaschine und all die anderen Dinge, die beim Thema Energiesparen öffentlich so leidenschaftlich diskutiert werden, weitgehend irrelevant sind. Mobilität ist der Knackpunkt.

Es gibt einen praktikablen Internetrechner, um seine persönliche Energiebilanz zu erstellen. Man findet ihn auf den Projektseiten zur 2.000-Watt-Gesellschaft. Brav gebe ich ein, wie ich wohne, was ich verbrauche, wie ich reise und so weiter.

Das Ergebnis ist ebenso erwartbar wie erschreckend: Ich verbrauche rund 71.000 Kilowattstunden pro Jahr und führe sozusagen ein Mehr-als-8.000-Watt-Leben. Das ist mehr als viermal so viel, wie mir gerechterweise zustünde, ich liege sogar über dem westeuropäischen Durchschnitt. Für mich und meinen Lebensstil müssten also drei Menschen auf jede Energie verzichten, damit die Rechnung aufgeht. Kann das sein? Und wenn ja: Darf das sein?

Denn eigentlich bilde ich mir ein, schon recht rücksichtsvoll zu leben. Auf meiner persönlichen Habenseite kann ich durchaus einiges verbuchen: Was den Energieverbrauch für Wohnen und Autofahren angeht, liege ich deutlich unter dem Durchschnitt, verrät der Rechner. Das überrascht mich nicht sonderlich. Mein Haus in Hamburg ist gedämmt und energiespartechnisch auf dem neuesten Stand. Ich beziehe Ökostrom aus Wasserkraft und fahre mit der U-Bahn zur Arbeit statt mit dem Auto. Mit den läppischen 6.000 Kilometern, für die ich jährlich den Wagen nehme (selten allein), gelte ich unter Normalautofahrern sozusagen als Fußgänger. Auch bei der Ernährung bin ich etwas besser als Ottonormalkonsument: Ich esse relativ wenig Fleisch und kaufe öfter Bioprodukte.

Ohne Wohlstandseinbußen im Westen ist das Ziel nicht zu erreichen

Wenn ich meine Verbrauchswerte aber mit dem idealen globalen Durchschnitt vergleiche und alles gleichmäßig auf jeden Tag des Jahres aufteile, dann war mein Energiebudget schon am 23. März aufgebraucht. Eine aufschlussreiche Rechnung. Eine gerechte Energiewelt sähe folglich in etwa so aus, dass ich den Rest des Jahres, ohne zu essen oder zu trinken, in einer kalten und dunklen Höhle hocken müsste. Dann käme das hin, mit dem Budget einer rechnerischen kontinuierlichen Leistungsaufnahme von 2.000 Watt – aber eben nicht mit der im Westen allgemein üblichen Vorstellung von Wohlstand. Wie die Schweizer Forscher beides gleichermaßen sicherstellen wollen, ist mir ein Rätsel.

Doch der Test geht ja noch weiter. Auf der Sollseite meiner Energiebilanz steht die Mobilität jenseits des Autos. Ich reise viel, sehr viel sogar im Vergleich zum durchschnittlichen Westeuropäer. Mit der Bahn fahre ich etwa fünfmal so viel, und meine Flugkilometer übertreffen den Schnitt sogar um den Faktor 20. Ein Drittel meines Gesamtverbrauchs geht bei mir für Flugreisen drauf, das ist der mit Abstand größte Einzelposten in der Bilanz.

Was mich dabei besonders erschreckt, ist die Tatsache, dass ich nach meinem Gefühl in diesem Jahr gar nicht mal besonders viel geflogen bin. Ich bin auch sehr weit von irgendeinem Vielfliegerstatus entfernt. Unternehmensberater und Vertreter anderer Berufsgruppen belächeln mich eher als Stubenhocker. Gleichwohl kam in der Luft einiges zusammen. Mal nach München, mal nach London, auch mal über den Großen Teich. In diesem Jahr habe ich rund 23.800 Kilometer zusammengeflogen, ausschließlich in der Economyclass, was für die Energiebilanz nicht ganz unwichtig ist. Trotzdem entspricht diese Strecke grob einer Erdumrundung. Und die allermeisten dieser Reisen waren beruflich bedingt. Nur einmal bin ich in diesem Jahr privat geflogen. Von Hamburg nach München. One-way.

Das Ergebnis offenbart ein Dilemma. Reiner Innendienst ist für einen Journalisten keine Alternative. Erst recht nicht, wenn man hauptsächlich über international tätige Unternehmen berichtet. Man mag also die Reisen etwas beschränken können, aber ganz darauf zu verzichten ist illusorisch. Immerhin, auch das habe ich ausgerechnet, geht etwa ein Viertel aller geflogenen Kilometer für Zubringerflüge und Umsteigeverbindungen drauf. Gäbe es ausschließlich Direktverbindungen, könnte ich zumindest dort sparen.

Aber für ein 2.000-Watt-Leben reicht es ja nicht einmal aus, nie wieder ein Flugzeug zu besteigen. Selbst wenn ich zudem nie wieder mit der Bahn, dem Auto oder der U-Bahn führe, würde ich bestenfalls ein 4.000-Watt-Leben führen.

So langsam gehen mir die Ideen aus. Was soll ich noch machen? Alle Klassiker, mit denen sich Großstadtmenschen gemeinhin selbst beruhigen, habe ich längst umgesetzt. Die meisten Lampen zu Hause sind Energiesparfunzeln. Sie geben schlechtes Licht und halten nie so lange, wie die Packung suggeriert – egal, was die Hersteller erzählen. Aber gut, es geht nicht anders. Meine Haushaltsgeräte sind so sparsam wie möglich, zumindest sofern ich mich bei der Anschaffung nicht ruinieren will. Ökonomisch muss alles vertretbar bleiben, ich verfolge gewissermaßen eine wirtschaftliche Kompromisslösung mit grünem Einschlag. Stand-by-Zeiten von Elektrogeräten versuche ich weitgehend zu reduzieren, aber ehrlich gesagt: Wenn man deren Energieverbrauch mit dem der Mobilität vergleicht, ist das kaum der Rede wert.

Und jetzt? Daheim habe ich eine moderne Erdgasheizung mit Brennwerttechnik, alles State of the Art und optimal eingestellt. Natürlich könnte ich stattdessen über Geothermie nachdenken oder eine Pelletheizung, aber es ist ja auch nicht so, dass ich ein verkappter Hobby-Heizungstechniker wäre. Irgendwie will man ja auch noch leben.

Bitte keine Vorhaltungen und ungebetenen Ratschläge

Klar, jetzt kommen wieder die üblichen Vorwürfe, und die moralischen Zeigefinger gehen nach oben. »Jaaaaa, dieser Vielflieger mit Erdgasheizung…« Stopp! Den Typ Mensch, der anderen immer erklären will, wie sie sich zu verhalten haben, kenne ich schon. Vorhaltungen und ungebetene Ratschläge sind seine Spezialität. Bitte, nur das nicht.

Ich werde mir den Rat bei Menschen suchen, die ich schätze und von denen ich glaube, dass sie mir etwas beibringen können. Denn ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll. Mich von der Idee der 2.000-Watt-Gesellschaft verabschieden? Es wäre schade. Ich mag die Vision von globaler Energiegerechtigkeit. Von einer Welt, in der jedem Menschen ein gleich großer Anteil an den Ressourcen zusteht. Ich glaube an technischen Fortschritt: daran, dass Geräte sparsamer werden können, Autos und Flugzeuge genügsamer, Maschinen effizienter. Allerdings bleibt der Verdacht, dass an einer Stelle eingesparte Energie an anderer Stelle wieder verbraucht wird.

Was ich nicht glaube, ist, dass die 2.000-Watt-Gesellschaft ohne Wohlstandsverlust möglich sein wird. Zumindest nicht für Menschen wie mich. Es bleibt nur Sparen. Verzichten. Beschränken. Dinge, die wehtun. Vielleicht wird Energie eines Tages so brutal teuer, dass man es sich gut überlegen muss, zwei Scheiben Weißbrot zu toasten. Hohe Strompreise, ja, die könnten helfen. Aber gerecht sind auch sie nicht.

Vielleicht erfindet doch noch jemand das ganz große Ding. Etwa eine Technologie, die Wohlstand für alle möglich macht, ohne zum Verzicht zu zwingen. Eine Energiequelle müsste es sein, die billig ist, sicher, sauber, ohne Nebenwirkungen für die Umwelt auskommt, einfach zu nutzen und unbegrenzt verfügbar ist. Die Flugzeuge und Autos ebenso antreibt wie Lampen, Toaster oder Heizungen. Science-Fiction, aber schön wär’s.

Hat irgendwer eine Idee?“

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