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Artikel: Warum Mikrokredite den Armen nur selten helfen

Interessanter Artikel im SPIEGEL zum Thema Mikrokredite. Von vielen hochgelobt und als erfolgreiches Modell dargestellt (um nicht zu sagen „verkauft“) zeigt sich beim genaueren Hinsehen dass da vieles doch nur Schein ist. Für mich zeigt’s dann doch wieder auf wie wichtig wissenschaftliche Begleitung von „alternativen“ Ansätzen, wie auch in bzw. für die Permakultur, wichtig ist damit wir uns nicht selbst ins Bockshorn jagen.

„Kleine Summe, kein Effekt? Seit rund 30 Jahren gelten Mikrokredite als erfolgreiches Instrument zur Armutsbekämpfung. Doch neue Untersuchungen wecken ernste Zweifel an ihrer Wirksamkeit.

„Wie oft muss man nichts finden, damit belegt ist, dass da nichts ist?“, fragt Philip Mader provokant. Er spricht von Mikrokrediten und davon, dass in den vergangenen 30 Jahren kein Nachweis erbracht wurde, dass sie tatsächlich Armut reduzieren. Mader kommt in seiner Doktorarbeit „Financializing Poverty: The Transnational Political Economy of Microfinance’s Rise and Crises“ sogar zum Ergebnis, dass die Kleinstkredite Armut ausnutzen und verfestigen.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftswissenschaften Köln begann seine Recherchen im indischen Andhra Pradesh. Dort gab es 2010 eine Selbstmordwelle unter Mikrokreditnehmerinnen, die ihre Raten nicht mehr bezahlen konnten. Anschließend weitete Mader seine Untersuchung auf weitere Entwicklungsländer aus. So konnte er unter anderem belegen, dass Mikrokreditnehmer mehr arbeiten, aber nicht mehr verdienen, weil sie das Geld für die Tilgung der Schulden verwenden müssen. Die Investition von Mikrokrediten in unternehmerische Projekte bedeute nur die Erweiterung einer Basarwirtschaft, die schon heute allenfalls eine Notlösung für die Armen darstellt, sagt Mader. Die Mehrzahl der Kredite werde für das tägliche Überleben und die Behandlung von Krankheiten ausgegeben.

Maders Arbeit ergänzt umfassend die Belege über die negativen Auswirkungen der Mikrokredite, die von Ethnologen, Anthropologen und Journalisten schon erbracht wurden. Der bangladeschische Anthropologe Aminur Rahman etwa fand bereits in den neunziger Jahren heraus, dass nur fünf Prozent der Mikrokreditnehmer Einkommen aus Unternehmen beziehen, die sie mit dem Darlehen aufgebaut hatten. Das deckt sich mit der Feldforschung von Anu Muhammad, Wirtschaftswissenschaftler an der Jahangirnagar Universität in Bangladesch: Nur fünf Prozent der Mikrokreditnehmer profitierten von den Darlehen – und sie alle hatten bereits vorher eine zuverlässige Einkommensquelle. 50 Prozent konnten ihren Lebensstandard nur halten, indem sie zusätzliche Kredite aufnahmen. Die Lage der restlichen 45 Prozent hat sich verschlechtert.

Qazi Kholiquzzman Ahmed, Leiter der staatlich finanzierten Kreditanstalt PKFS in Bangladesch, legte wiederum dar, dass mehr als die Hälfte der Schuldner nicht pünktlich zahlen können und zur Tilgung der Kredite weitere Darlehen aufgenommen haben. Solche Überschuldungskrisen gab es auch in Bosnien, Pakistan, Marokko, Ägypten, Nigeria, Mexiko und Bolivien. In Nicaragua legte 2009 die Bewegung „No Pago“ („Wir zahlen nicht“) aus Protest die 22 Mikrofinanzorganisationen im Land lahm – unterstützt von Präsident Daniel Ortega. Auch die rigiden Methoden der Geldeintreiber wurden schon vielfach angeprangert, etwa in Gerhard Klas‘ Buch „Die Mikrofinanzindustrie. Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut“. Und im vergangenen Jahr sorgte der ehemalige Insider der Mikrofinanzindustrie, Hugh Sinclair, mit einem Buch für Furore. Darin beschreibt er nicht nur die oft brutale Geldeintreibung, sondern auch, wie sich Banken und Anleger mittels hoher Zinsen an den Armen bereichern.

Doch die wachsende Kritik hat bislang weder in der Branche noch in der Entwicklungspolitik zu einem Umdenken geführt. Kritische Untersuchungen werden meist ignoriert, Studien mit positivem Ergebnis hochgehalten.

So war das auch bei einer Metastudie im Auftrag des britischen Entwicklungshilfeministeriums. 2011 wertete ein Forscherteam um Entwicklungsökonomin Maren Duvendack 2600 positive Mikrokredit- Studien aus, knapp 60 davon detailliert. Es gebe, so Duvendack, keinerlei eindeutige Belege, dass Mikrokredite den Armen nutzen. Die positiven Studien gründeten auf weichen Untersuchungsmethoden und unzureichendem Datenmaterial. Der Erfolg werde nicht an der sozialen Realität gemessen, sondern an der hohen Rückzahlungsquote. Das Ministerium habe wenig Interesse gezeigt, ihre Ergebnisse zu verbreiten, sagt Duvendack.

Ähnlich wie Duvendack nahmen die US-Ökonomen Jonathan Murdoch und David Roodman eine alte Studie von 1998 unter die Lupe, Auftraggeber damals war die Weltbank. In der Untersuchung heißt es, dass Mikrokredite die relative Armut in Bangladesch um 40 Prozent reduziert hätten. Murdoch und Roodman stellten jedoch fest, dass die Ergebnisse keiner wissenschaftlichen Prüfung standhalten. Dennoch gehört das Papier immer noch zu den meistzitierten positiven Arbeiten über Mikrokredite.

Als Reaktion auf die Kritik sind Geldgeber der Mikrofinanzorganisationen dazu übergegangen, Vergleichsgruppenstudien in Auftrag zu geben, sogenannte Randomized Controll Trial Studies (RTCS). Die erste dieser Art wurde im indischen Hyderabad vom Massachusetts Institute of Technology durchgeführt und 2009 veröffentlicht. Einige Ergebnisse: 30 Prozent der Kreditnehmerinnen versuchten, ein Unternehmen aufzubauen, 30 Prozent zahlten mit ihrem Kredit andere Kredite ab. 15 Prozent nahmen Konsumkredite auf, der Rest investierte in schon bestehende Tätigkeiten. Auf Bildung, Gesundheit und Frauen-Empowerment wurde keine Auswirkung festgestellt. Trotzdem zitierte unter anderem die deutsche Bundesregierung die Studie als positiven Beleg für Mikrokredite.

Die aktuellste RTC-Studie wurde unter Kunden der mexikanischen Compartamos Bank durchgeführt. Die an der Börse notierte Bank ist hoch umstritten, weil sie Jahreszinssätze von bis zu 195 Prozent erhebt. Nicht nur das stößt beim Mikrofinanzexperten Hugh Sinclair auf massive Kritik: Obwohl die Studie ergebe, dass die Kredite den Armen nicht nutzen, werde „alles versucht, um etwas Positives aus den Daten herauszuziehen, während die beunruhigenden negativen Auswirkungen ausgeblendet werden“, sagt er.

„Ich nenne das Zweck-Mittel-Verschiebung: Es wird mittlerweile als Erfolg gewertet, dass überhaupt ein Kredit aufgenommen wurde“, sagt Philip Mader. Nicht mehr die Armutsbekämpfung stehe im Mittelpunkt, sondern die finanzielle Einbindung der Armen in die Kapitalmärkte. Und das bringt Profit: Waren es 2001 nur knapp drei Milliarden Dollar, wurden 2011 fast 90 Milliarden Dollar Kredite an über 200 Millionen Männer und Frauen weltweit vergeben. Bereits im Jahr 2010 betrugen die Einkünfte der Mikrofinanzbanken fast 20 Milliarden Dollar.

„Das Mikrofinanzsystem stellt eine transnationale Kette der Disziplinierung her, die im Interesse regelmäßiger Kapitalflüsse arme Menschen dazu bringt, ihre Gürtel noch enger zu schnallen und eine nennenswerte Summe an Mehrwert aus ihrer Arbeit abzutreten“, resümiert Mader in seiner Arbeit. Eine offene Diskussion über Mikrokredite und entwicklungspolitische Alternativen zu marktwirtschaftlichen Ansätzen hält er für dringend nötig.

Dieser Text stammt aus dem Magazin „enorm – Wirtschaft für den Menschen“.

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