Die Schublade: Ein schöner Beitrag – Nachtrag – von Michael Reber, der auf dem Symposium „Aufbauende Landwirtschaft“ einen Vortrag über sich und seinen Betrieb gehalten hat. Sehr bewegend, berührend, weil die Zuhörer spüren konnten, was ihn bewegt, was ihn verändert hat, wie er sich (nun) fühlt, womit er zu kämpfen hat (Struktur, sich selbst, andere Landwirte, …).
aufbauende landwirtschaft
Symposium „Aufbauende Landwirtschaft“, 27.-29.1.2017, Schloss Tempelhof – Nachklang
Das Symposium ist vorbei. Und ich kann sagen: Es war super. Tolle Redner, tolle Präsentationen, tolle Themen, tolle Teilnehmer, tolle Organisation. Echt gut war’s. Wie sagte einer der Redner: Ganz großes Kino.
Mehr dazu hier beim Hohenloher Tagblatt (hier als PDF). Und die Zusammenfassung von Ute Scheub und mir:
Humus macht Leben, Leben macht Humus
Symposium Aufbauende Landwirtschaft im Ökodorf Schloss Tempelhof
Von Ute Scheub und Stefan Schwarzer
„Humus macht Leben, Leben macht Humus“ – ausgerechnet ein konventioneller Landwirt lieferte das schönste Motto für das Symposium „Aufbauende Landwirtschaft“ im Ökodorf Schloss Tempelhof Ende Januar. Michael Reber, der auf seinem Hof nahe Schwäbisch Hall „dramatisch fallenden Erträge“ und „massiven wirtschaftlichen Druck“ erlebte, berichtete dem rund 100-köpfigen Publikum in einem bewegenden Auftritt, durch einen ökologischen Bodenkurs habe sich sein Leben verändert. Seitdem pflügt und spritzt er nicht mehr, verabreicht seinen Pflanzen Komposttees und baut Boden auf. Folge: „Der Mais steht bombig da.“
Die Gemeinschaft Tempelhof hatte den Kongress organisiert, um Fachberater und Praktikerinnen, Bauern und Gärtnerinnen zusammenzubringen. Aufbauende Landwirtschaft, so formulierte sie in der Einladung, sei „die Kunst, Nahrungsmittel zu produzieren und dabei gleichzeitig die natürlichen Ressourcen wieder aufzubauen, die Böden zu verbessern und zu beleben, Wasser zurückzuhalten, Tieren Lebensraum zu bieten und vieles mehr.“ Es geht also um mehr als „bio“, es geht auch um Agroforstsysteme, Holistisches Weidemanagement, Permakultur und weitere agrarökologische Praktiken, die Kohlenstoff aus der CO2-überlasteten Atmosphäre zurück in den Boden bringen und Humus aufbauen. Weltweit angewandt, könnte man damit die Krise von Klima, Wasser und Böden binnen weniger Jahrzehnte bewältigen.
Aber dazu gehört auch eine andere ethische Haltung: Empathie mit allen Lebewesen. Der Biobauer Sepp Braun aus Freising bei München verkörpert diese Fähigkeit auf spürbare Weise. „Ich möchte, dass sich mein Weizen wohlfühlt“, formulierte er in seinem Vortrag. Oder, so fragt er sich: „Was hat die Kuh, der Regenwurm, der Weinstock für Bedürfnisse?“ Seine Kühe dürfen selbständig auf die Weide, die Kälber dürfen nuckeln, seine Hühner haben Fünf-Sterne-Ställe mit viel Auslauf und vorgekeimtem Futter. Der Tierarzt, der immer seltener kam, solle demnächst Geld solange bekommen, wie die Tiere gesund bleiben, und nicht umgekehrt. Sepp Braun betätigt sich auch als innovativer Futterforscher. Die Artenvielfalt in seinen Wiesen lasse den Salvastrole-Gehalt in seinen Milchprodukten steigen, die Menschen friedfertiger machten, berichtete er.
Auch Margarethe Langerhorst, die in Österreich auf nur 1600 Quadratmeter mit bioveganen Intensivgartenbau etwa 40 Kunden plus die eigene Familie ernährt, beeindruckte das Publikum mit ihrer liebevollen Haltung. Sie habe ein herzliches Verhältnis zu den Bauern und Jägern in der Nachbarschaft, denn „jeder Mensch ist auf seinem eigenen Weg“. Sie rede mit Schnecken und Mäusen in ihrem Garten, damit diese verstünden, dass sie auch woanders Nahrung fänden – „und das hat Wunder bewirkt!“
Mit gezieltem Aufbau von Humus und Bodenleben explodiert offenbar die Fruchtbarkeit – dafür gab es auf der Tagung reichlich Beispiele. Die Ergebnisse der Gärtner vom Ökodorf Tempelhof ließen sich in der Kantine des Ökodorfs kosten, sie ernähren über das Modell der Solidarischen Landwirtschaft von etwa drei Hektar rund 200 Personen mit Gemüse. Die kanadische Farm La Grignette versorgt mit ihren Feldfrüchten auf 0,8 Hektar 52 Menschen. Das Team der Ridgedale Permaculture Farm in Schweden erntet auf gerade mal zwei Hektar Gemüse für 25 bis 70 Menschen. Und all diese Beispiele funktionieren ohne schwere bodenverdichtende Traktoren.
Agrarberater Dietmar Näser, Ingrid Hörner, Burkhard Kayser und weitere gaben Einblicke in ihre Praxis, und die Tierärztin Anita Idel („Die Kuh ist kein Klimakiller“) machte deutlich, von welcher globalen Bedeutung Humusbildung durch Weidetiere ist. Ein Mitschnitt des gesamten Symposiums ist demnächst auf www.aufbauende-landwirtschaft.de zu finden.
Symposium „Aufbauende Landwirtschaft“, 27.-29.1.2017, Schloss Tempelhof
Boden wieder gut machen. Wege zu einer regenerativen Agrarkultur
Die Natur – eine aufbauende Kraft
Der Natur wohnt eine beeindruckende Kraft inne: die der Entwicklung hin zu immer größerer Differenzierung, zu mehr Vielfalt und Fülle, zu höherer Fruchtbarkeit – eine Kraft des Aufbaus.
Anbau zwischen Aufbau und Raubbau
Vor etwa 10‘000 Jahren begannen die Menschen mit der Landwirtschaft – und damit begann eine Geschichte des wiederholten Aufbaus und Zusammenbruchs vieler großer Zivilisationen. Der Verlust der wertvollen Oberschicht – Stichwort Bodenerosion – spielte beim Niedergang dieser Kulturen fast immer eine entscheidende Rolle. Heutzutage kommen Probleme hinzu wie Nitrate im Grundwasser, Verlust der Artenvielfalt, Verlust an genetischer Vielfalt bei unseren Kulturpflanzen oder eine hohe Nutzung und Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Die in der Natur innewohnenden Kräfte zum Aufbau von Ressourcen (Boden, Biomasse, Vielfalt) haben wir in der Landwirtschaft noch nicht genügend verstehen und einsetzen gelernt; im Gegenteil, wir haben viele Ressourcen gestört und übernutzt.
Nachhaltig ist nicht genug
Um die großen Verluste an Boden, Vegetation und Biodiversität wieder auszugleichen und gestörte Kreisläufe (Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff, Wasser) wieder zu schließen, muss man mehr nachwachsen lassen als man verbraucht. Einfach nur erhalten reicht nicht. Am besten, man verbraucht gleichzeitig weniger und lässt mehr nachwachsen. Die Belastungen von Umwelt und Menschen reduzieren sich dadurch, die Natur kann sich entfalten. So kann sich eine aufbauende Landwirtschaft entwickeln.
Aufbauende Landwirtschaft
Aufbauende Landwirtschaft ist die Kunst, Nahrungsmittel zu produzieren und dabei gleichzeitig die natürlichen Ressourcen wieder aufzubauen, die Böden zu verbessern und zu beleben, Wasser zurückzuhalten, Tieren Lebensraum zu bieten und vieles mehr. Aufbauende Landwirtschaft heißt, dass wir uns an der aufbauenden Kraft der Natur orientieren und in Partnerschaft mit ihr Landbaupraktiken entwickeln, um zukünftigen Generationen Lebensgrundlagen in aller Vielfalt und Fülle zu schaffen, die ihnen eine freie Entfaltung ermöglicht.
Wie das gehen kann, ist das Thema dieses Symposiums.
Treffpunkt von innovativen Praktikern
Im Fokus stehen Erfahrungsberichte von Landwirten, Gärtnerinnen und Beratern aus Deutschland und Österreich, die verschiedene Aspekte einer aufbauenden Landwirtschaft umsetzen. Sepp Braun, Dietmar Näser, Margarete Langerhorst und Urs Mauk zeigen am Beispiel ihrer Höfe, wie sie das in Praxis umsetzen. Anita Idel, Ingrid Hörner, und andere berichten über ihre Erkenntnisse zu Bodenaufbau, Beweidung und Pflanzenstärkung.
Themen werden sein:
- Mischkulturen, Untersaaten, Zwischenfrüchte und Agroforst
- pfluglose und Minimal-Bodenbearbeitung, Direktsaat, Kompostierung und Mulch
- Boden- und Blattsaft-Analysen, Immunsystem der Pflanzen, vitalisierende Blattspritzungen, Rotte-Steuerung, Mikroorganismen
- Holistisches Weidemanagement, Wassermanagement und Keyline-Design
- Solidarische Landwirtschaft, Direkt-Vermarktung
Mit Hofrundgang, Vorträgen, Kurzreferaten, einer Podiumsdiskussion und vielfältigen kleinen Arbeitsgruppen wollen wir einen offenen Begegnungsraum schaffen für konventionelle und ökologische Bauern, Gärtnerinnen und andere interessierte Menschen.
Das Symposium soll Verständnis für Zusammenhänge und Lösungen vermitteln und verbreiten. Es soll dazu anregen, Abhängigkeiten zu verringern und in Partnerschaft mit Menschen und Natur neue Wege einzuschlagen.
Mehr Details auf der Homepage oder auch hier im Flyer.
Mark Shepard auf der 3rd European Agroforestry Conference
Für die, die von Mark Shepard nicht genug kriegen können… Zu denen zähle ich mich selbst… Immer wieder Inspiration & Ideen für Ansätze, Veränderungen, Wünsche, Abschied von Lieblingsideen und sonstiges. Sicher sehenswert, selbst wenn nicht so viel Neues dabei ist. Aufbauende Landwirtschaft mal wirklich anders denken – also: anders, mein ich! Das ist schon echt ein Schritt…
Für einen integralen Produktivitätsbegriff und eine selbstbewusste Biobewegung
Der Begriff „Bio 3.0“ oder „Organic 3.0“ macht die Runde. Aber was versteht man darunter? Was soll das sein? Und wohin soll es gehen? Die IFOAM (International Foundation for Organic Agriculture) hat dazu ein Thesenpapier lanciert (2. Version), welcher unter dem Titel „Mit Bio zu einer modernen nachhaltigen Landwirtschaft“ läuft. Darin wird, teilweise etwas trocken, technisch, bürokratisch, und auch ungenau, teils jedoch auch interessant mögliche Schritte in die Zukunft erläutert.
Was ich an der Diskussion jedoch wirklich spannend finde, ist die Stellungnahme der GLS-Treuhand dazu. Diese, von Benny Haerlin (Leitung Berliner Büro, Initiative Save Our Seeds), Nikolai Fuchs (Vorstand GLS Treuhand e.V.) und Oliver Willing (Geschäftsführer Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand e.V.) zusammen getragene Kritik und zugleich konstruktive Gegendarstellung ist äusserst klar formuliert, und hat alles, was ich als wesentlich für eine „zukunftsfähige Landwirtschaft“ sehe. Ob ökologisch, sozial, kulturell, gesellschaftlich, ökonomisch – es sind viele Punkte drin, viele auch sehr präzise genannt und erklärt, welche – auch nach den Erfahrungen hier am Tempelhof – Eck- und Kernpunkte einer zukunftstauglichen Lösung sein kann.