„Nichts recyceln die Deutschen schlampiger als organische Küchenabfälle. Bokashi-Komposteimer aus Japan schaffen Abhilfe: Sie brauchen wenig Platz. Und stinken nicht.“
Wer schon einmal eine Biotonne in der Küche stehen hatte, kennt das Problem: Einerseits befriedigt es das Öko-Gewissen, welke Salatreste und Obstschalen von Milchkartons und Plastikbechern zu trennen. Andererseits ist das ziemlich lästig. Leert man die Tonne nicht ständig aus, verbackt der Inhalt zügig zu einer nassen, stinkenden Pampe – besonders im Sommer. Maden können die Tonne bevölkern, Fruchtfliegen werden angezogen und bald durchweht die Küche ein Hauch von Müllkippe.
Eigentlich ist die Biotonne eine gute Idee, denn mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel landet im Müll. Felicitas Schneider, die für das Wiener Institut für Abfallwirtschaft Mülltonnen von Haushalten und Supermärkten durchsucht hat, stellte fest, dass ein Durchschnittshaushalt im Jahr 50 Kilogramm essbare Lebensmittel wegwirft.
Jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel und jedes fünfte Brot, insgesamt bis zu 20 Millionen Tonnen im Jahr, landen im Müll.
Die Biotonne birgt die Hoffnung, dass diese Massen weggeschmissener Lebensmittel zumindest nicht ganz verloren gehen, sondern einen neuen Daseinszweck erhalten können – als Kompost. Theoretisch sinnvoll, praktisch nicht gerade populär: Im Vergleich zu Papier und Glas trennen die Deutschen nach einer Untersuchung der technischen Universität Braunschweig ihre Bioabfälle deutlich weniger gern und häufig vom Restmüll. Das gilt besonders für Küchenabfälle. Überraschend ist das nicht. Faulende Essensreste in der Küche– wer will das schon?
Eine Idee aus Japan könnte Abhilfe schaffen. Die küchenfreundliche Variante eines Komposthaufens heißt dort: Bokashi. Man braucht dafür keinen Garten und keine Biotonne, sondern nur einen Bokashi-Eimer mit dicht schließendem Deckel und Zapfhahn, sowie Bokashi-Kleie. Beides kann man selbst besorgen oder einfach im Internet bestellen. Der Rest geht einfach: Essensreste klein schneiden – am besten rohe Obst- und Gemüsestücke, aber auch gekochtes in kleinen Mengen – und in den Bokashi-Eimer geben. Anschließend eine Handvoll Bokashi-Kleie darüber streuen. Wiederholen, bis der Eimer voll ist.
Bokashi-Kleien sind eine Mischung aus Melasse, Kleie und effektiven Mikroorganismen. Letztere sind eine Lösung aus Milchsäure, Hefen und Fotosynthesebakterien, die in Lebensmitteln wie Bier, Joghurt und Sauerkraut natürlich vorkommen. An sich also nichts Besonderes – der entscheidende Faktor liegt in ihrer Mischung.
Teruo Higa, Professor für Gartenbau an der japanischen Universität Ryukyus in Japan, hat sie 1982 bei seinen Versuchen über Bodenfruchtbarkeit eher zufällig entdeckt. Er experimentierte mit Mikroorganismen und stellte fest, dass Gras an einem Fleck, auf dem die Mikroben nach getaner Arbeit entsorgt wurden, schneller wuchs.
Das Prinzip solcher effektiver Mikroorganismen ist schnell erklärt: Es gibt drei Gruppen von Mikroorganismen, die ihre Umgebung beeinflussen. Wie sie das tun, erinnert ein wenig an Staatspolitik: Die Gruppe der abbauenden Mikroorganismen sorgt dafür, dass organisches Material fault und zerfällt. Aufbauende Organismen tun das Gegenteil. Beide Gruppen sind zahlenmäßig eher klein. Die größte, dritte Gruppe folgt immer der jeweils dominanten Fraktion.
Gibt man also eine Menge aufbauender Organismen in Erdboden, Wasser oder auch den menschlichen Darm, können sie das Milieu günstig beeinflussen. Es ist letztlich die gleiche Idee, die auch hinter Joghurts mit probiotischen Kulturen steckt: Günstige Bakterien sollen die ungünstigen verdrängen.
Im Internet werden die Mikroben bereits als Armee winziger Weltretter gefeiert. Ihr Potential ist, glaubt man Higa und seinen Fans, enorm: Als Düngemittel eingesetzt, sollen sie Ackerböden verbessern und Pflanzen ernähren. In Aquakulturen geschüttet, sollen sie das Wasser rein halten, als Getränk Darm und Immunsystem sanieren und unter Tierfutter gemischt sogar Pferde und Hunde gesund halten. In Kosmetik eingearbeitet, sollen sie Haar und Haut pflegen und als Salz den Körper entschlacken. Der Bierbrauer Lammsbräu hat bereits den größten Teil seiner Reinigungsmittel mit Lösungen aus effektiven Mikroorganismen ersetzt.
Ob die Mikroben wirklich die Alleskönner sind, als die sie verkauft werden, ist schwer zu sagen. An wissenschaftlichen Untersuchungen herrscht bisher noch Mangel. Eine Studie der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LFL) hat recht ernüchternde Ergebnisse hervorgebracht: Bei einem vergleichenden Versuch wurden Getreidefelder mit und ohne effektive Mikroorganismen bearbeitet. „Die Wirkung war gleich null“, sagt Lorenz Heigl von der LFL. „Wir konnten beim Ertrag fast keinen Unterschied feststellen.“
Im Kompost hingegen ist der Effekt eindeutig: Gibt man effektive Mikroorganismen zu Essensresten, kommt statt Fäulnis jener Prozess in Gang, der auch Kohl in Sauerkraut verwandelt: Fermentierung. Der Prozess reichert den Biomüll mit Vitaminen, Enzymen und Antioxidantien an und macht ihn länger haltbar. Das Ergebnis stinkt und fault nicht, wie ein normaler Biomüll, sondern riecht leicht säuerlich. Und das auch nur dann, wenn man den Deckel anhebt.
Der Bokashi-Eimer ist ein Thema für sich. Man muss schon ein sehr großer Kompost-Freund sein, um freiwillig 45 Euro für einen aus Japan importierten Plastikeimer auszugeben. Es geht aber auch anders: Mit etwas Geschick kann man den Bokashi-Eimer auch selbst bauen – im Internet gibt es reichlich Bauanleitungen zum Download. Dort finden diejenigen, die alles selbst machen möchten, auch Rezepte und Videos für die Herstellung von Bokashi-Kleien.
Wer nach drei Wochen zum ersten Mal einen Blick auf den fermentierten Inhalt eines Bokashi-Eimers wirft, kriegt wahrscheinlich einen Schreck – Erde ist das noch längst nicht. Das Ergebnis erinnert an graues Sauerkraut. Aber das soll so sein. Im nächsten Schritt gräbt man das sauer riechende Gemisch in Erde ein. Stadtbewohnern ohne Garten schlägt Franz-Peter Mau von der Gesellschaft zur Förderung regenerativer Mikroorganismen pragmatisch vor, den fertig fermentierten Bokashi-Kompost neben dem nächsten Straßenbaum einzuarbeiten.
Wer die Idee, Küchenabfälle auf offener Straße zu vergraben, eher problematisch findet, hat eine weniger öffentliche Alternative: „Man nimmt einen von diesen schwarzen, im Baumarkt erhältlichen Betonmischkübeln, füllt ihn mit zu ca. 2/3 mit Erde und mischt das Küchen-Bokashi sorgfältig ein. Eine Lage Erde oben drauf, mit effektiven Mikroorganismen angießen, Plane drauf, damit es abgeschieden vor sich hin fermentieren kann. Nach 1-2 Monaten sollte das meiste zu Erde geworden sein,“ rät Mau. Das Ergebnis ist fruchtbares Material für Topfpflanzen – oder eben doch für den Baum vor dem Haus. Erde stinkt ja nicht. Jedenfalls längst nicht so stark, wie eine Biotonne.
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