Artikel: Ein neues Bio

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FORDERUNG Es ist Zeit für ein Agrarkonzept, in dem Felder mit menschlichen Exkrementen gedüngt und unsere Nährstoffe wiederverwendet werden

VON MICHAEL BRAUNGART
Wenn man in China auf dem Land zum Essen eingeladen ist, dann erwarten die Menschen bis heute, dass man so lange bleibt, bis man die Toilette aufsucht. Es gilt als unhöflich, nach dem Abendessen zu gehen und die Nährstoffe mitzunehmen. Auf diese Art und Weise konnte man in China eine bruchlose Zivilisation von über 5.000 Jahren schaffen, während in der westlichen Welt die Bauern nie etwas zurückbekommen haben. Man lieferte die Nahrungsmittel immer in die Stadt und „verlor“ dadurch die Nährstoffe.
Das muss sich ändern. Denn in der Landwirtschaft, die Energiepflanzen anbaut, verlieren wir zwischen elf und 30 Tonnen fruchtbaren Boden pro Hektar und Jahr. Aber auch der Biolandbau verliert intakten Boden: etwa eine Tonne pro Hektar und Jahr. Das liegt daran, dass die menschlichen Stoffwechselprodukte nicht zurück in biologische Kreisläufe gehen dürfen. Ist es nicht zu wenig, dass es nur „Bio“ ist – ohne uns? Wir brauchen ein neues Bio, wozu wir gehören.
Mit dem Beginn der industriellen Landwirtschaft im 19. Jahrhundert begann man, Exkremente von der Landwirtschaft auszuschließen, um Krankheitskeime, die Übertragung von Krankheiten und damit hygienische Probleme zu verhindern. Dies kann jedoch auf Dauer nicht so sein. Jeden Tag müssen wir durch unsere Nahrung zwei Gramm Phosphor aufnehmen und zwei Gramm Phosphor abgeben. Wir können sonst keine Zähne bilden, keine Knochen stabilisieren und erhalten, wir können keine Energie speichern.
Dabei bestimmen zwei Länder über mehr als 60 Prozent der Phosphorvorkommen. Die Qualität des Phosphorerzes nimmt dabei täglich ab. Inzwischen wird durch den Phosphorbergbau viel mehr Radioaktivität in die Umwelt gebracht, als sie in Atomanlagen eingesetzt wird. Allein in Deutschland sind in den letzten 20 Jahren über den Dünger 15.000 Tonnen Uran auf unseren Feldern verteilt worden. Dies verursacht Leukämie bei Kindern. Knochenmarkspenden sind schön, aber ist es nicht viel schöner, Leukämie von vorneherein an der Entstehung zu hindern, indem man niedrige radioaktive Strahlung so weit wie irgend möglich vermeidet?
Nach unseren Untersuchungen werden mit einem Kilo Toilettenpapier bis zu fünf Millionen Liter Wasser über den Trinkwassergrenzwert hinaus kontaminiert, weil die additiven Hilfsstoffe, optischen Aufheller und Druckpigmente nie für biologische Kreisläufe entwickelt worden sind.
Wir brauchen sofort ein Bio, das unsere nützlichen Stoffwechselprodukte wiederverwertet. Es geht nicht um die Frage, Biolandwirtschaft ja oder nein, sondern um gute Landwirtschaft oder schlechte Landwirtschaft. Landwirtschaft, die den Boden zerstört, die die Artenvielfalt verhindert, die das Grundwasser in höchstem Maße kontaminiert, ist einfach nur schlechte Landwirtschaft. Eine Biolandwirtschaft allerdings, die Nährstoffe nicht zurückgewinnt, ist ebenso verbesserungsfähig. Wir brauchen also ein neues Bio: ein Bio, das bedeutet, dass ein Übergang zu einer gartengebundenen Landwirtschaft stattfindet, die weit produktiver ist. Gegenüber einer Monsanto-Gentechnik der industriellen Landwirtschaft ist eine Gartenlandwirtschaft mindestens zehnmal produktiver. Dies setzt jedoch viel mehr Tätigkeit voraus, viel mehr Arbeit. Und dies bedeutet, dass Menschen in diesen Bereichen tätig sein müssen – in viel größerer Zahl.
Die Vereinigten Staaten haben in den letzten 200 Jahren die Hälfte ihres gesamten Humus eingebüßt. Dies erscheint zunächst nicht schlimm, denn im Durchschnitt haben die Böden dort etwa zwei Meter Humus. Wenn man jetzt bei einem Meter angekommen ist, lässt sich damit immer noch wunderbar Landwirtschaft betreiben.Wenn wir normale Marktabfälle vom Isemarkt in Hamburg kompostieren, ist der Kompost bereits heute so kontaminiert, dass er nach dem deutschen Bundes-Bodenschutzgesetz nicht in die Landwirtschaft zurückgehen kann. Zudem sind weder Autoreifen noch Bremsbeläge, noch Schuhsohlen, noch Abriebe in allen anderen technischen Bereichen, noch Dünger tatsächlich für biologische Kreisläufe entwickelt worden.
Dadurch, dass der normale Kompost nicht wieder in die Landwirtschaft zurückgeht, wird umso mehr Kunstdünger eingesetzt, für den die strikten Kompostgrenzwerte natürlich nicht gelten. Das heißt, wir kontaminieren dadurch die Biosphäre natürlich noch stärker, indem wir Kompostierung gesetzlich behindern. Die Belastung durch Schwermetalle im Kompost entsteht jedoch nicht durch die organischen Reststoffe, sondern überwiegend durch den künstlichen Dünger selbst.
Wir brauchen eine Landwirtschaft, in der ein echtes Kreislauf-Nährstoff-Management stattfindet. Was ich fordere, ist nicht neu: Im alten China wurden unsere Exkremente – nach biologischer Behandlung – als Dünger verwendet. Dadurch hat der Boden die wertvollen Nährstoffe zurückerhalten, die wir über die Nahrung verstoffwechselt haben. Mehr Bio geht nicht.
Wir brauchen eine Landwirtschaft, in der ein echtes Kreislauf-Nährstoff-Management stattfindet

Der Autor
Michael Braungart ist Professor der Verfahrenstechnik an der Leuphana Universität Lüneburg und hält den Lehrstuhl für Cradle to Cradle Innovation und Qualität an der Rotterdam School of Management.
Das Engagement: Braungart hat mehrere Umwelt- und Forschungsinstitute mitgegründet und ist Koautor des Buches „Intelligente Verschwendung – The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft“ (Oekom Verlag).

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