„Auf dem Tempelhof leben Menschen verschiedenen Alters im Einklang mit der Natur, ihren Mitmenschen und sich selbst. Das Projekt ist mit 20 Bewohnern gestartet und bekommt immer mehr Zulauf.
Es ist nicht allein die Lust am Landleben, die 110 ganz unterschiedliche Menschen in einen kleinen Weiler der Gemeinde Kreßberg zog. Es ist auch Lust an Gemeinschaft und an sozialer Verantwortung. Doch das Land, auf dem sie leben, das sie behutsam bestellen und das sie alle nährt, spielt eine entscheidende Rolle.
Rund um das kleine Dorf Tempelhof grünt und blüht es, die Ziegen weiden vor dem Eingangstor und die Bienen summen. Im Dorf selbst gibt es neben dem herrlichen Schlossbau und anderen historischen Gebäuden noch einige Bausünden jüngerer Epochen: Versiegelte Flächen, asbestgedämmte Häuser, unschöne Architektur. Seit die Bewohner vor zwei Jahren hier einzogen, haben sie viel saniert, renoviert und neu gestaltet.
Jetzt wurden in einer Mammutaktion die Außenanlagen auf Vordermann gebracht. Rund hundert Landschaftsgärtner der Bundesarbeitsgemeinschaft selbstverwalteter Gartenbaubetriebe (BASEG) sind aus ganz Deutschland angereist, um am Tempelhof lebendigen Dorfraum zu schaffen. Ehrenamtlich wurden eine Woche lang Wege angelegt und Natursteinmauern gesetzt, Beete geschaffen und bepflanzt und Sitzmöbel aus Holz gebaut. „Durch das Projekt sind wir mit den Außenanlagen einen Riesenschritt vorangekommen“, sagt Agnes Schuster, Aufsichtsrätin in der Schloss Tempelhof Genossenschaft. Während des BASEG-Sommerprojekts gab es für die Tempelhofler einen Vorgeschmack auf das künftige Dorfleben, das langfristig auf bis zu 300 Bewohner anwachsen soll.
Am Anfang hatten zwanzig Menschen – zumeist Großstädter – eine Vision vom gemeinsamen Leben. Sie machten sich auf die Suche nach einem Ort, wo sie ökologisch nachhaltig, sozial gerecht und sinnerfüllt leben könnten. Anfang 2010 wurden sie fündig: Das verlassene Dorf Tempelhof in der Nähe von Crailsheim, das im Laufe der Jahrhunderte schon eine wechselvolle Geschichte als Gutshof, Lustschloss, Kindererziehungsanstalt, Alters- und Behindertenwohnheim hinter sich hatte, wurde für das öko-soziale Mehrgenerationenprojekt „In Gemeinschaft leben“ Lebensmittelpunkt. Zum Tempelhof gehören 30 Hektar Boden, verschiedene Gebäude und landwirtschaftliche Flächen. Das Dorf wird gemeinsam aufgebaut und das Land gemeinsam bewirtschaftet. Jeder bringt sich nach seinen Fähigkeiten ein. Und plötzlich werden aus bekennenden Großstädtern überzeugte Landeier.
Dass die Menschen sich wieder mit dem Land, auf dem sie leben, verbinden, das ist eines der wichtigsten Anliegen der Tempelhofler. Es ist ein Zurück zu einer Lebensweise, die heute fast vergessen scheint: Eine nachhaltige Landwirtschaft mit biologischem Anbau regionaler Produkte, die selbst verzehrt oder direkt an andere weitergegeben werden. „Wir streben ein gesundes, gutes Leben in unserem kleinen Dorf an“, sagt Schuster und mit einem Blick über den Tempelhof und seine Ländereien fügt sie an: „In einem Appartement in der Stadt würde ich Platzangst kriegen.“
Schuster ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Das arbeitsreiche Landleben ihrer Kindheit unterscheidet sich jedoch sehr von dem Leben, das sie jetzt auf dem Land führt – in dem Arbeit für- und miteinander als Ausdruck einer tiefen inneren Essenz gilt. Sie schätzt es, die Früchte von den eigenen Feldern, aus den Gärten und Gewächshäusern ackerfrisch auf den Teller zu bekommen. „Richtig frischen Salat zu schmecken, das ist der Luxus der Einfachheit“, so Schuster.
„Für mich bedeutete das Land früher Angst vor Isolation und verkrusteten Strukturen“, sagt Jonas Dörfler, der seit 24 Jahren als Stadtplaner in Regensburg arbeitet. „Mir war immer klar: Aufs Land trau ich mich nur in Gemeinschaft.“ Der 51-Jährige traute sich und er bereute den Schritt nicht. Heute hat er beides: Er pendelt zum Arbeiten in die Stadt und lebt in der Gemeinschaft auf dem Land. „Durch das Landleben habe ich einen veränderten Blick auf die Stadt bekommen. In der Stadt umkreisen Investoren, Verkehrsströme und fremdbestimmte Mechanismen die menschlichen Inseln. Hier auf dem Land ist die menschliche Insel in einen Freiraum eingebettet.“
Birgit Fischer gehört zum sechsköpfigen Küchenteam, das täglich drei Mahlzeiten für alle Tempelhofbewohner zubereitet. „Wir schauen jeden Tag, was gerade reif ist. Das nehmen wir und kochen damit etwas Leckeres. Es ist eine große Freude, mit frischen Zutaten aus unserem Eigenanbau ein schmackhaftes Essen zuzubereiten“, sagt die gebürtige Hohenloherin.
Im ersten Jahr hat die Tempelhofgemeinschaft vor allem in die Landwirtschaft investiert. Die Bewirtschaftung des Landes dient der Selbstversorgung mit biologischen Lebensmitteln, was bereits zu 60 Prozent gelingt und der Wiederherstellung natürlicher Kreisläufe. Michael Stang (46) kümmert sich um die Bienen, die Obstbäume und die Maschinen. „Ich habe bereits mein Studium und anschließende Praktika darauf ausgerichtet, möglichst viel zu lernen, was man für ein autonomes Leben auf dem Land braucht“, sagt der Diplom-Biologe. Mit minimalem Maschineneinsatz bewirtschaften die Tempelhofler 14 Hektar Ackerfläche und ebenso viel Grünland, zweieinhalb Hektar Gemüseanbau sowie zwei Streuobstwiesen. Außerdem werden Ziegen, Schafe und Hühner gehalten.
Während die Versorgung mit Nahrung im dritten Jahr des öko-sozialen Projektes bereits gut klappt, gibt es im Bereich Energieversorgung noch Nachholbedarf. Doch auch das soll sich bald ändern. Thomas Waldhubel ist an der Entwicklung eines Energiekonzeptes beteiligt, das den Tempelhof unabhängig von fossilen Energieträgern machen soll. Die Planungsphase ist fast abgeschlossen, nun geht es an die Umsetzung. Der Psychologe und Supervisor hat 40 Jahre in Berlin gelebt. „Ich bin froh, dass ich den Großstadtdschungel hinter mir gelassen habe“, sagt er. „Hier sein und etwas Sinnhaftes tun zu können, betrachte ich als großes Geschenk.“
Das Landleben hat für die Tempelhofler einen hohen Lustfaktor: Weitab von der Hektik des Alltags, klare Luft zu atmen und die Natur im Jahreslauf zu erleben. Mit ihren Händen bearbeiten sie das Land. Und weil sie sich die Arbeit teilen – und manchmal durch engagierte Landschaftsgärtner unterstützt werden – wird sie für den Einzelnen tragbar. So funktioniert das Projekt Tempelhof: Sinnvoll auf und mit dem Land leben, Gutes hinterlassen und füreinander da sein. Und wie steht es mit dem Landfrust? Den muss man hier lange suchen.“